Die Erbschaft des Todes Robert Silverberg Einige der Welten der Milchstraße werden überhaupt nicht von lebenden Wesen bewohnt sein. Wenn die Menschen sie erreichen, werden sie nur die Zeichen vergangener Zivilisationen finden – die Pompejis und Chichén Itzas anderer Planeten. Mit solchen Welten werden sich weder die Zoologen, Diplomaten und Militärs befassen, sondern nur die Archäologen. Und bei ihren Grabungen werden sie vielleicht auf Dinge stoßen, die von größter Bedeutung für die Welten lebender Wesen sind… Robert Silverberg Die Erbschaft des Todes Der Planet mußte wenigstens eine Million Jahre tot gewesen sein. Das war unser erster Eindruck, als unser Schiff sich aus seiner Kreisbahn auf die braune Oberfläche senkte, und es stellte sich heraus, daß unser erster Eindruck richtig war. Früher mußte es hier eine Zivilisation gegeben haben, aber seitdem waren Ewigkeiten vergangen. »Ein toter Planet«, rief Colonel Mattern bitter aus. »Nichts hier, das für uns von Wert wäre. Am besten wäre es, wir zögen gleich weiter.« Es war kaum überraschend, daß Mattern so dachte. Mit seinem Drängen auf schnelle Abfahrt und die Suche nach einem nützlicheren Planeten handelte er sicher im Interesse seiner Dienststelle. Sein Vorgesetzter war der Generalstab der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie erwarteten von Mattern und jener Hälfte der Besatzung, die ihm unterstand, Resultate, und unter Resultaten verstanden sie neue Waffen und militärische Bündnisse. Der Generalstab hatte sich nicht mit 70 Prozent der Kosten beteiligt, um den Archäologen Gelegenheit zum Austoben zu geben. Zum Glück für unsere Hälfte der Besatzung — die Archäologen nämlich — lag die Entscheidungsgewalt nicht allein in Matterns Händen. Mochte der Generalstab auch den größten Teil des Budgets tragen, so hatten die vorsichtigen Männer, die als Verbindungsleute fungierten, doch dafür gesorgt, daß wir zumindest einige Rechte genossen. Dr. Leopold, Leiter der nichtmilitärischen Gruppe der Expedition, sagte kurz: »Tut mir leid, Mattern, aber ich muß Sie an die Klausel erinnern, nach der wir…« Mattern unterbrach ihn. »Aber…« »Nichts aber, Mattern. Wir sind hier. Wir haben einen tüchtigen Batzen amerikanisches Geld verpulvert, um hierher zu gelangen. Ich bestehe darauf, daß wir die uns zur Verfügung stehende Mindestzeit für wissenschaftliche Forschungen ausnutzen.« Mattern machte ein finsteres Gesicht. Er war verärgert, aber klug genug, um zu wissen, daß er gegen Leopolds Forderung nicht angehen konnte. Wir anderen — vier Archäologen und sieben Offiziere — beobachteten neugierig, wie unsere Chefs sich in den Haaren lagen. Mein Blick schweifte durch das Bullauge und registrierte die Erhebungen auf der trockenen, vom Wind zerfurchten Ebene, die vor Jahrtausenden einmal ragende Gebäude gewesen sein mochten. Mattern sagte gereizt: »Diese Welt ist von keinerlei strategischem Wert. Sie ist so alt, daß selbst die Spuren ihrer Zivilisation zu Staub zerfallen sind.« »Trotzdem mache ich Gebrauch von dem mir zugestandenen Recht, jede Welt, auf der wir landen, für die Mindestdauer von sieben Tagen zu erforschen«, erwiderte Leopold ruhig. »Warum, verdammt?« entfuhr es Mattern hitzig. »Nur um uns vor den Kopf zu stoßen? Nur um zu beweisen, daß der Wissenschaftler dem Soldaten überlegen ist?« »Mattern, ich habe mich bemüht, nicht persönlich zu werden.« »Dann möchte ich wissen, worauf Sie hinauswollen. Wir sind hier auf einer Welt, die offensichtlich für Sie ebenso uninteressant ist wie für mich. Sie reiten auf einer Klausel herum und zwingen mich, eine volle Woche in den Wind zu schreiben. Warum, frage ich Sie?« »Bis jetzt haben wir uns mit einer ganz oberflächlichen Erkundung begnügt«, sagte Leopold. »Wie können wir wissen, ob diese Welt uns nicht die Antworten auf die vielen Fragen bringt, die in der Geschichte der Milchstraße noch offen sind? Vielleicht ist sie sogar ein Hort für Superbomben, von denen wir…« »Kommen Sie mir nicht mit diesem Unsinn!« explodierte Mattern. Er maß die wissenschaftlichen Mitglieder der Besatzung mit funkelndem Blick. Seine ganze Haltung verriet, was er dachte: daß im Namen der Wissenschaft kostbare Zeit und kostbares Geld vergeudet wurde. »Also gut«, sagte er schließlich. »Ich habe protestiert und verloren, Leopold. Sie sind im Recht, wenn Sie fordern, eine Woche hierzubleiben. Aber ich gebe Ihnen keine Minute länger, wenn Ihre Zeit um ist.« Natürlich waren alle Bedingungen vorher festgelegt worden. Wir waren ausgeschickt worden, um einen Sektor am Rand der Milchstraße zu erforschen, der schon flüchtig von einem Vermessungstrupp aufgenommen worden war. Die Vermesser hatten sich damit begnügt, nach Zeichen von Leben Ausschau zu halten und hatten die Fahrt fortgesetzt, als sie keine fanden. Unsere Aufgabe war es, sich intensiver mit den in Frage kommenden Welten zu befassen. Nach den Meldungen des Vermessungstrupps waren einige der Welten früher bewohnt gewesen. Zur Zeit jedoch gab es kein Leben auf ihnen. Unser Auftrag bestand darin, die uns zugewiesenen Welten wissenschaftlich zu erforschen. Leopold, der Leiter unserer Gruppe, sollte sich um die archäologische Forschung kümmern, während Mattern sich für spaltbares Material, zurückgebliebene fremdartige Waffen und etwa vorhandene Quellen Lithium oder Tritium interessieren sollte. Genaugenommen stimmte es, daß unsere Gruppe nur auf Kosten der militärischen Gruppe mitgeschleppt wurde. Aber die öffentliche Meinung in Amerika hielt nicht mehr viel von rein militärischen Raumflügen, und so hatte man, wenn auch widerstrebend, unsere Teilnahme gestattet. Mattern hatte von Anfang an keinen Zweifel darüber gelassen, daß seine Gruppe die wichtigere sei, und daß wir nur als Ballast zu betrachten seien. Wir wußten also, daß wir ihm zuvorkommen mußten, wenn es dort draußen etwas von militärischem Wert gab. * * * Der Planet hatte keinen Namen, und wir gaben ihm auch keinen. Eine Sonderkommission der UN schlug sich mit dem Problem herum, den Hunderten von Welten in der Milchstraße Namen zu geben, wobei sie mit Vorliebe auf die Erdmythologie zurückgriff. Wahrscheinlich würde diese Welt eines Tages auf den Namen Toth oder Bel-Marduk oder Avalokites vara hören. Wir kannten sie nur als Planet Vier des Systems, das zu einer gelbweißen F5 IV Prokyonoid-Sonne, erweiterter HD-Katalog, Nr. 170861, gehörte. Die Welt ähnelte etwa dem Erdtyp, hatte einen Durchmesser von 6100 Meilen, einen Schwerkraftindex von 0,93 und eine durchschnittliche Temperatur von 9 Grad. Ihre dünne Atmosphäre bestand zum größten Teil aus Kohlendioxyd, vermischt mit wenig Helium und Wasserstoff und ganz minimalen Mengen von Sauerstoff. Wahrscheinlich war die Luft vor Millionen Jahren atembar gewesen, aber das war Millionen von Jahren her. Wir hatten nicht versäumt, uns mit dem Gebrauch unserer Atemmasken vertraut zu machen, bevor wir das Schiff verließen. Die Sonne war, wie schon erwähnt, eine F5 IV Sonne und ziemlich heiß, aber Planet Vier lag 185 Millionen Meilen entfernt, und die gute alte Keplersche Ellipse nahm es in diesem System nicht so genau. Planet Vier erinnerte mich in vieler Hinsicht an den Mars, wenn man davon absah, daß der Mars nie intelligentes Leben irgendeiner Art hervorgebracht hatte, während dieser Planet zu einer Zeit, als der Pithecanthropus das höchstentwickelte Wesen auf Erden war, eine blühende Zivilisation gekannt hatte. Da nun entschieden war, daß wir bleiben würden, machten wir uns sofort an die Arbeit. Wir wußten, daß wir nur eine Woche Zeit hatten — Mattern würde uns nie eine Fristverlängerung zugestehen, es sei denn, wir stießen auf Entdeckungen, die ihn anderen Sinnes werden ließen. Wir wollten in dieser einen Woche soviel hinter uns bringen, wie nur möglich war. Der Himmel war voller Welten, und diese Welt mochte nie wieder von Menschen besucht werden. Wir schafften die drei mitgeführten Halbraupenschlepper hinaus und machten sie startfertig. Dann verluden wir unsere Ausrüstung und setzten uns die Atemmasken auf. Matterns Männer halfen uns, wenn auch unwillig. Sie bildeten einen Halbkreis um uns und warteten auf unsere Abfahrt. »Will keiner von Ihnen uns begleiten?« fragte Leopold. Die Raupenschlepper waren für je vier Mann bestimmt. Mattern schüttelte den Kopf. »Ziehen Sie los und lassen Sie uns wissen, was Sie entdecken«, sagte er. »Wir nutzen die Zwangspause dazu aus, das Logbuch zu vervollständigen.« Ich sah, daß Leopold scharf antworten wollte, aber dann beherrschte er sich. »Okay, tun Sie das. Wenn wir auf eine offenstehende Plutoniumader stoßen, gebe ich Ihnen durch Funk Bescheid.« »Großartig«, sagte Mattern. »Vielen Dank für Ihre Bereitwilligkeit. Lassen Sie es mich auch wissen, falls Sie auf eine Kupferader stoßen.«Er lachte. »Eine Plutoniumader! Sie scheinen es ernst gemeint zu haben.« Wir hatten eine Skizze des Geländes angefertigt und teilten uns in drei Gruppen. Leopold fuhr allein nach Westen, dem ausgetrockneten Flußbett entgegen, das wir aus der Luft gesehen hatten. Ich nehme an, daß er sich mit den Gesteinsformationen beschäftigen wollte. Marshall und Webster fuhren nach Südosten, dem Hügelland entgegen, unter dem eine große Stadt begraben zu liegen schien. Gerhardt und ich besetzten den dritten Raupenschlepper und wandten uns nach Norden, wo wir die Überreste einer andern Stadt zu finden hofften. Es war ein trüber, windiger Tag; die endlose Sandwüste, die diese Welt bedeckte, wellte sich in Dünen vor uns, und der Wind warf uns die scharfen Sandkörner gegen die Plastikkuppeln. Während des ersten Teils der Fahrt schwiegen wir beide, dann sagte Gerhardt: »Ich hoffe, das Schiff ist noch da, wenn wir zurückkommen.« Ohne den Lenkhebel loszulassen, wandte ich mich nach ihm um. Gerhardt war mir immer ein Rätsel gewesen, ein kleiner, hagerer Mann mit dunklem Haar, das ihm ständig in die zu dicht beieinanderstehenden Augen fiel. Er kam von der Universität Kansas und hatte sich, wie aus seinen Zeugnissen hervorging, als Wissenschaftler bewährt. Ich sagte: »Was zum Teufel meinen Sie?« »Ich traue Mattern nicht. Er haßt uns.« »Unsinn. Mattern ist kein Bösewicht — nur ein Mann, der seine Arbeit hinter sich bringen will, um bald wieder nach Hause zurückzukehren.« »Er wird ohne uns abfliegen. Darum hat er uns hinausgeschickt und seine Leute zurückgehalten. Er läßt uns im Stich, passen Sie auf.« »Reden Sie kein verrücktes Zeug. Mattern wird nichts dergleichen tun.« »Er betrachtet uns als einen Klotz am Bein«, beharrte Gerhardt. »Einfacher kann er uns nicht loswerden.« Der Raupenschlepper nahm einen kleinen Hügel in der Wüste. Ich hätte sogar den Schrei eines Geiers begrüßt, aber das letzte Leben hatte diesen Planeten vor Ewigkeiten verlassen. »Ich gebe zu, daß Mattern über unsere Teilnahme nicht gerade entzückt sein mag, aber glauben Sie, daß er drei wertvolle Raupenschlepper aufgeben würde?« Gegen dieses Argument konnte Gerhardt nichts einwenden. Gezwungen stimmt er mir bei. Mattern würde nie einen Teil der Ausrüstung freiwillig aufgeben, mochte er die fünf Archäologen auch für überflüssig halten. Wieder fielen wir in Schweigen. Bis jetzt hatten wir zwanzig Meilen durch öde Landschaft zurückgelegt. Ich überlegte, ob es nicht klüger gewesen wäre, im Schiff zu bleiben. Von dort konnten wir wenigstens die Formationen der versunkenen Städte erkennen. Zehn Meilen weiter kamen wir zu der Stadt, die unser Ziel war. Sie schien aus einer einzigen Reihe von Gebäuden bestanden zu haben, die sich unendlich weit, vielleicht sechs- oder siebenhundert Meilen, erstreckte. Wenn uns Zeit blieb, konnten wir die Ausmaße aus der Luft feststellen. Von der Stadt war natürlich nicht mehr viel zu sehen. Der Sand hatte alles bedeckt, aber wir erkannten hier und dort die Grundrisse von Gebäuden. Wir stiegen aus und nahmen die Elektroschaufel mit. Eine Stunde später schwitzten wir unter den dünnen Schutzanzügen. Es war uns gelungen, einige tausend Kubikmeter Erde zu bewegen. Ein tiefes Loch klaffte im Boden, aber die Arbeit hatte uns nichts eingebracht. Wir hatten weder einen Schädel, noch einen Zahn ans Licht befördert. Kein Löffel, kein Messer, keine Kinderklappern. Die Grundmauern einiger Gebäude hatten die Jahrtausende überstanden, aber von ihrer Zivilisation war nichts geblieben. Ich mußte widerstrebend zugeben, daß Mattern recht gehabt hatte. Dieser Planet hatte sich für uns ebenso unwichtig wie für sie erwiesen. Verwitterte Grundmauern erzählten uns nur, was wir schon wußten — daß hier eine Zivilisation existiert hatte. Ein mit Phantasie begabter Paläontologe kann aus einem Schenkelknochen einen Dinosaurier wiedererstehen lassen. Ließ sich aber aus verwittertem Gemäuer auf die Kulturstufe, auf Gesetze, Technik und Philosophie schließen? Sehr unwahrscheinlich. Wir fuhren weiter und begannen nach einer halben Meile erneut zu graben. Aber auch hier hatte die Zeit ihr Werk verrichtet. Mit etwas Glück fanden wir Grundmauern, alles andere war vergangen. * * * Spät am Nachmittag beschlossen wir, zum Schiff zurückzukehren. Wir hatten sieben Stunden geschuftet und hatten außer einigen Metern Film von Grundmauern nichts aufzuweisen. Die Sonne begann zu sinken. Planet Vier hatte einen 35-Stunden-Tag, der sich seinem Ende näherte. Der Himmel verdunkelte sich, es gab keinen Mond. Planet Vier hatte keine Satelliten, was ein wenig unfair schien, denn Planet Drei und Fünf wiesen jeweils vier Monde auf, während um den Giganten aus Gas, der Planet Acht war, nicht weniger als dreizehn kleine Monde wirbelten. Wir wendeten und fuhren zurück. Nachdem wir sechs Meilen zurückgelegt hatten, erwachte der Lautsprecher des Schleppers zum Leben. Die trockene Stimme Dr. Leopolds klang an unser Ohr: »Ich rufe Schlepper Zwei und Drei. Zwei und Drei, hören Sie mich? Bitte kommen, Zwei und Drei.« Gerhardt bediente das Steuer. Ich langte über ihn hinweg, um auf Senden umzuschalten. »Anderson und Gerhardt in Nummer Drei, Sir. Wir hören Sie.« Etwas später und ein wenig leiser hörten wir Marshall sagen: »Marshall und Webster in Zwei, Dr. Leopold. Ist etwas nicht in Ordnung?« »Ich habe etwas gefunden«, sagte Leopold. Aus dem Ton, mit dem Marshall sein »Wirklich?« sagte, schloß ich, daß sie nicht glücklicher als wir gewesen waren. Ich sagte: »Dann können wir uns die Hand geben.« »Sie hatten kein Glück, Anderson?« »Nichts, nicht einmal eine Topfscherbe.« »Wie steht es bei Ihnen, Marshall?« »Das gleiche, Sir. Zeichen einer Stadt, aber nichts von archäologischem Wert.« Ich hörte Leopold lachen, bevor er sagte: »Aber ich habe etwas gefunden. Es ist ein wenig zu schwer, als daß ich allein damit fertig werde. Ich möchte, daß beide Gruppen herkommen und es sich ansehen.« »Was ist es, Sir?« fragte Marshall und zur gleichen Zeit. Aber Leopold wollte sein Geheimnis nicht preisgeben. »Sie werden sehen, wenn Sie hier sind. Nehmen Sie meine Koordinaten und setzen Sie sich in Bewegung. Ich will vor Einbruch der Dunkelheit wieder beim Schiff sein.« Achselzuckend änderten wir unseren Kurs. Leopold schien etwa siebzehn Meilen südwestlich von uns zu sein. Marshall und Webster hatten eine ebensolange Fahrt vor sich; sie befanden sich südöstlich von Leopolds Position. Wir erreichten Leopold fast zur gleichen Zeit. Er war nicht allein. Ein großer Gegenstand befand sich bei ihm, halb verdeckt durch seine Gestalt. »Hallo, Gentlemen!« Ein breites Grinsen lag auf Leopolds Miene. »Es sieht aus, als hätte ich einen Fund gemacht.« Er trat zur Seite, als entferne er einen verhüllenden Vorhang, und wir hatten einen Blick auf den Gegenstand, den er als seinen Fund bezeichnete. Ich war überrascht und verblüfft. Leopolds Fund ähnelte einem Roboter. Er war groß, fast zweieinhalb Meter, und erinnerte dadurch an ein menschliches Wesen, daß er Arme, einen Kopf und Beine hatte. Der Kopf wies an den Stellen, an denen beim Menschen Augen, Ohren und Mund saßen, Öffnungen auf, die durch dünne Platten verschlossen waren. Der Körper des Roboters war massig und kantig, die dunkle Metallhaut war angefressen und verrostet, man sah ihr die unzähligen Jahrhunderte an, die sie über sich hatte ergehen lassen müssen. Bis zu den Knien steckte die Gestalt im Sand. Leopold, der noch immer grinste, sagte: »Sprich zu uns, Roboter.« Aus der Mundplatte kam ein knarrender Laut, dann meldete sich eine unwahrscheinlich grelle, aber hörbare Stimme. Die Worte waren fremd und wurden in singendem Tonfall gesprochen. Ich fühlte, wie mir ein Schauder über den Rücken lief. »Er versteht, was Sie sagen?« fragte Gerhardt. »Ich glaube nicht«, erwiderte Leopold. »Besser gesagt — noch nicht. Aber wenn ich ihn direkt anspreche, fängt er an zu reden. Ich denke, er fungierte als eine Art Führer. Die Wesen von damals mögen ihn konstruiert haben, damit er Fremden Informationen zukommen läßt. Er scheint sie und ihre Denkmäler überlebt zu haben.« Ich musterte die Gestalt. Sie wirkte unglaublich kräftig, konnte also gut die andern Spuren der Zivilisation überdauert haben. Der Roboter hatte aufgehört zu sprechen und starrte, wenn man es so nennen darf, vor sich hin. Plötzlich rührte er sich, hob einen Arm, als wollte er die Landschaft umschließen und begann wieder zu sprechen. »Es scheint sich tatsächlich um eine Art Fremdenführer zu handeln«, bemerkte Webster. »Ich habe das Gefühl, daß wir jetzt einem historischen Vortrag lauschen, der sich mit den wunderbaren Bauten der damaligen Zeit beschäftigt.« »Wenn wir nur verstehen könnten, was er sagt«, warf Marshall ein. »Wir können versuchen, die Sprache zu entziffern«, sagte Leopold. »Auf alle Fälle ist es ein großartiger Fund. Und…« Ich begann plötzlich zu lachen. Leopold funkelte mich verärgert an und fragte: »Was gibt es dabei zu lachen?« »Ozymandias«, sagte ich. »Natürlich — Ozymandias!« »Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was…« »Hören Sie ihn an«, sagte ich. »Ist es nicht, als wäre er geschaffen und hier postiert worden, um denen, die nachfolgen, den Ruhm der Rasse zu verkünden, die diese Städte baute? Nur sind die Städte verschwunden, aber der Roboter ist noch hier.« Webster nickte. »Die Erbauer der Städte sind mit ihren Städten verschwunden, aber der arme Roboter weiß es nicht und erfüllt weiter seine Pflicht. Ja, wir sollten ihn Ozymandias nennen.« Gerhardt fragte: »Was soll mit ihm geschehen?« Webster musterte Leopold forschend. »Sie sagen, daß er sich nicht bewegen läßt?« »Er wiegt fünf- oder sechshundert Pfund. Er kann sich aus eigenem Antrieb bewegen, aber durch mich ließe er sich nicht von der Stelle rücken.« »Wenn wir alle fünf…«, schlug Webster vor. »Nein«, sagte Leopold. Ein sonderbares Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Wir werden ihn hier lassen.« »Was?« »Nur vorübergehend«, fügte er hinzu. »Wir wollen ihn als Überraschung für Mattern aufbewahren. Am letzten Tag werden wir ihn damit beglücken. Mag er bis dahin denken, daß dieser Planet wertlos ist.« »Glauben Sie, daß es sicher ist, ihn hier zu lassen?« fragte Gerhardt. »Niemand wird ihn stehlen«, sagte Marshall. »Und er wird sich auch nicht im Regen auflösen«, fügte Webster hinzu. »Aber — angenommen, er geht fort?« fragte Gerhardt. »Das kann er doch, nicht wahr?« Leopold sagte: »Natürlich. Aber wohin sollte er gehen? Ich denke, er wird bleiben, wo er ist. Bewegte er sich tatsächlich fort, so können wir ihn immer durch Radar orten. Und nun zum Schiff, es wird spät.« Wir kletterten auf unsere Raupenschlepper. Der Roboter, wieder stumm und bis an die Knie im Sand begraben, wandte sich um und hob den Arm, als wollte er uns grüßen. »Daß mir keiner vergißt, was wir vereinbart haben«, warnte uns Leopold, bevor wir uns in Bewegung setzten. »Kein Wort darüber zu Mattern!« * * * Am Abend erwiesen sich Mattern und seine sieben Untergebenen als bemerkenswert neugierig über unsere Tätigkeit. Sie taten, als seien sie tatsächlich an den Ergebnissen interessiert, wollten uns aber natürlich nur zu dem Eingeständnis verleiten, daß wir nichts gefunden hatten. Wir ließen es dabei bewenden. Am folgenden Morgen verkündete Mattern nach dem Frühstück, daß er, vorausgesetzt, wir machten keine Einwendungen, eine Gruppe auf die Suche nach spaltbarem Material ausschicken wollte. »Wir werden nur einen der Raupenschlepper brauchen«, sagte er. »Dann bleiben zwei zu Ihrer Verfügung. Es macht Ihnen doch nichts aus?« »Zwei Raupen genügen uns«, sagte Leopold säuerlich. »Die Hauptsache ist, Sie kommen uns auf unserem Gebiet nicht in die Quere.« »Wo liegt das?« Anstatt es ihm zu sagen, deutete Leopold nach Südosten. »Wir haben uns den südöstlichen Sektor vorgenommen und nichts von Bedeutung gefunden. Es macht uns nichts aus, wenn Sie dieses Gebiet jetzt mit Ihren geologischen Geräten umgraben.« Mattern nickte. Er musterte Leopold neugierig, als hätte dessen offensichtliche Ausflucht seinen Verdacht erregt. Ich fragte mich, ob es klug sei, Mattern Informationen vorzuenthalten. Nun, es war Leopolds Sache, sein kleines Spiel zu spielen, dachte ich. Wenn Mattern nicht wußte, wo wir arbeiteten, würde er Ozymandias sicher nicht zu Gesicht bekommen. »Ich dachte, Sie hätten gemeint, der Planet sei von Ihrem Gesichtspunkt aus nutzlos, Colonel«, sagte ich. Mattern starrte mich an. »Dessen bin ich sicher. Aber da wir nun schon hier sind, wäre es idiotisch von mir, nicht wenigstens einen Blick zu riskieren.« Ich mußte zugeben, daß er recht hatte. »Erwarten Sie dennoch etwas zu finden?« Er zuckte die Achseln. »Ganz bestimmt kein spaltbares Material. Es kann als ziemlich sicher angenommen werden, daß alle radioaktiven Substanzen auf diesem Planeten sich längst aufgelöst haben. Aber es besteht immer die Aussicht, auf Lithium zu stoßen.« »Oder auf reines Tritium«, spöttelte Leopold. Mattern lachte nur und erwiderte nichts. Eine halbe Stunde später waren wir wieder nach Westen unterwegs, der Stelle entgegen, an der wir Ozymandias zurückgelassen hatten. Gerhardt, Webster und ich fuhren zusammen in einer Raupe, Leopold und Marshall in der anderen. Die dritte, bemannt mit zwei von Matterns Männern, entfernte sich nach Südosten, in die Richtung, die Marshall und Webster tags zuvor ohne Erfolg abgesucht hatten. Ozymandias war da, wo wir ihn verlassen hatten. Die Sonne ging hinter ihm auf und hüllte ihn in ein glühendes Gewand. Ich überlegte, wie viele Sonnenaufgänge er wohl schon gesehen hatte. Wahrscheinlich Milliarden. Wir parkten die Fahrzeuge nicht weit von dem Roboter und näherten uns ihm. Webster filmte ihn im hellen Morgenlicht. Ein nördlicher Wind ließ den Sand in Wirbeln über den Boden tanzen. »Ozymandias ist hiergeblieben«, sagte der Roboter, als wir dicht vor ihm stehenblieben. Er sagte es auf Englisch. Sekundenlang begriffen wir nicht, was geschehen war. Während wir verwirrt durcheinanderredeten, sagte der Roboter: »Ozymandias hat die Sprache entziffert. Scheint eine Art Fremdenführer zu sein.« »Zum Teufel, er wiederholt wie ein Papagei unsere Unterhaltung von gestern«, sagte Marshall. »Ich glaube nicht, daß er nur nachplappert«, sagte ich. »Er spricht zusammenhängende Sätze. Er unterhält sich mit uns.« »Von seinen Vorfahren gebaut, um Besuchern Informationen zu geben«, sagte Ozymandias. »Ozymandias«, sagte Leopold. »Sprichst du Englisch?« Die Antwort war ein klickendes Geräusch, dem die Worte folgten: »Ozymandias versteht. Er hat nicht Worte genug. Sprecht mehr.« Wir fünf zitterten vor Erregung. Es war uns klar geworden, daß das, was geschehen war, an ein Wunder grenzte. Ozymandias hatte geduldig unseren Worten vom Abend zuvor gelauscht. Nachdem wir ihn verlassen hatten, war er daran gegangen, den Lauten, die er gehört hatte, einen Sinn zu geben. Mit Hilfe seines Millionen Jahre alten Verstandes war ihm dies gelungen. Nun kam es nur darauf an, ihm immer neue Worte zuzuwerfen und darauf zu warten, daß er ihnen einen Sinn gab. Die nächsten beiden Stunden vergingen so schnell, daß wir uns dessen kaum bewußt wurden. So schnell wir konnten, fütterten wir Ozymandias mit immer neuen Worten und Begriffen und erläuterten sie, um ihm Gelegenheit zu geben, sie in seinen schon vorhandenen Wortschatz einzufügen. Nach diesen zwei Stunden war es möglich, mit ihm eine Unterhaltung zu führen. Er befreite seine Beine aus dem Sand, der sie seit Jahrtausenden umgeben hatte, und nahm die Funktion wieder auf, für die er geschaffen worden war — er führte uns durch die Zivilisation jener längst vergangenen Zeit. Sein Gedächtnis war eine Schatzkammer archäologischer Daten, die uns auf Jahre hinaus mit Angaben über jene zurückliegenden Zeiten versorgen würde. Sein Volk, so erzählte er uns, hatte den Namen Thaiquen geführt. 300 000 Jahre ihrer Zeitrechnung hatten sie ein glückliches Leben geführt. Als der Abstieg begann, hatten sie ihn geschaffen, um ein unvergängliches Zeichen ihrer großen Zeit zu hinterlassen. Ihre Städte waren zerfallen, Ozymandias allein war geblieben, und mit ihm die Erinnerung an jene große Zeit. »Dies war die Stadt Durab. Zu ihrer Zeit wohnten acht Millionen Menschen in ihren Mauern. Wo ich jetzt stehe, erhob sich der Tempel von Decamon mit seiner Höhe von 1600 Fuß. Er blickte auf die Straße der Winde herab… Die elfte Dynastie begann mit Chonnigar IV. im achtzehntausendsten Jahr der Stadt. Während der Regierung dieser Dynastie wurden die ersten benachbarten Planeten erreicht… Die Bibliothek von Durab befand sich an diesem Platz. Sie enthielt vierzehn Millionen Bücher aller Art, von denen heute keines mehr existiert. Lange nach dem Ende der Dynastie verbrachte ich meine Zeit mit dem Studium dieser Bücher. Ihr Inhalt ist in meinem Gedächtnis verankert… Für länger als ein Jahr forderte die Pest täglich neuntausend Opfer…« Ununterbrochen flossen die Worte aus Ozymandias’ Mundöffnung, eine gigantische Quelle des Wissens tat sich vor uns auf. Je größer der Wortschatz des Roboters wurde, um so mehr konnte er ins Detail gehen. Wir folgten ihm, als er seine massige Gestalt durch den Wüstensand bewegte, und unsere Tonbandgeräte nahmen jedes Wort auf, das er sprach. Längst waren wir über das Stadium des Erstaunens heraus, begriffen, daß wir einen unschätzbaren Fund gemacht hatten. In diesem einzigen Roboter lagen alle Kenntnisse über eine Kultur, die sich über 300 000 Jahre erhalten hatte. Wir konnten Ozymandias für den Rest unseres Lebens Fragen stellen, ohne sein phänomenales Gedächtnis zu erschöpfen. Als wir uns schließlich losrissen und Ozymandias allein in der Wüste zurückließen, um zum Schiff zurückzukehren, brach der Überschwang unserer Gefühle durch, und wir fielen uns in die Arme. Nie hatte es in der Geschichte unserer Wissenschaft einen solchen Fund gegeben — den bis in die kleinste Einzelheit vollständigen Bericht über eine längst verflossene Epoche. Wir kamen überein, unseren Fund Mattern auch weiterhin zu verschweigen. Aber wir fühlten uns wie Kinder, die ein ungeheuer kostbares Geschenk erhalten haben und die Freude darüber nicht verbergen können. Obwohl wir jedes verräterische Wort vermieden, mußte Mattern an unserer Erregung merken, daß unser Tag nicht so ergebnislos verlaufen war, wie wir es behaupteten. Diese Tatsache und die Weigerung Leopolds, Mattern genauere Angaben über unser heutiges Arbeitsfeld zu machen, mußte Matterns Verdacht erregt haben. Nachts, als wir in unseren Betten lagen, hörten wir das Rattern von Raupenschleppern, die sich in die Wüste entfernten. Am Morgen betraten wir den kleinen Frühstücksraum zur üblichen Zeit. Mattern und seine Männer, die unrasiert waren und müde wirkten, wandten sich zu uns um. Mattern sagte: »Guten Morgen, Gentlemen. Wir warten schon seit einiger Zeit auf Sie.« »Es ist doch nicht später als sonst?« fragte Leopold. »Keineswegs. Aber meine Männer und ich waren die ganze Nacht auf den Beinen. Wir haben archäologische Forschung auf eigene Faust betrieben, während Sie schliefen.«Der Colonel beugte sich vor und musterte Leopold scharf. »Dr. Leopold, aus welchem Grund haben Sie sich entschlossen, mir die Tatsache vorzuenthalten, daß Sie ein Objekt von äußerster strategischer Wichtigkeit entdeckt haben?« »Was meinen Sie?« fragte Leopold, und seine Stimme zitterte leicht. »Ich meine«, sagte Mattern ruhig, »den Roboter, dem Sie den Namen Ozymandias gaben. Warum haben Sie mir nicht über ihn Meldung gemacht?« »Ich hatte die Absicht, allerdings erst kurz vor unserer Abfahrt.« Mattern zuckte die Achseln. »Mag sein. Tatsache ist jedenfalls, daß Sie uns die Existenz Ihres Fundes verschwiegen. Ihr sonderbares Verhalten gestern abend veranlaßte uns dazu, das von Ihnen durchforschte Gebiet ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. Da die Detektoren etwa zwanzig Meilen westlich ein metallenes Objekt erfaßten, machten wir uns dorthin auf den Weg. Ozymandias war sichtlich erstaunt, daß es noch mehr Erdenbewohner auf diesem Planeten gab.« Sekundenlang herrschte tiefe Stille. Dann sagte Leopold: »Ich muß Sie bitten, sich nicht in diese Sache einzumischen, Colonel Mattern. Ich bitte um Entschuldigung, daß wir unseren Fund verschwiegen — aber Sie hatten erklärt, daß Sie sich für unsere Arbeit nicht interessierten. Nun muß ich darauf bestehen, daß weder Sie noch Ihre Männer sich mit unserem Fund befassen.« »Ach nein«, sagte Mattern bissig. »Und warum?« »Weil Ozymandias ein archäologisches Schatzkästlein ist, Colonel. Ich kann nicht nachdrücklich genug erklären, von welchem Wert er für uns ist. Es besteht die Gefahr, daß Ihre Männer mit ihm experimentieren und dabei die Erinnerungskanäle kurzschließen. Ich berufe mich auf die Rechte der archäologischen Gruppe dieser Expedition und erkläre, daß Ozymandias unter unserem Schutz steht und Ihnen nicht zu Experimenten dienen kann.« Matterns Stimme wurde schärfer. »Tut mir leid, Dr. Leopold. Sie können sich nicht auf dieses Recht berufen.« »Warum nicht?« »Weil wir Ozymandias unter unseren Schutz gestellt haben. Es ist Ihnen untersagt, sich mit ihm zu befassen.« Ich fürchtete, daß Leopold der Schlag treffen würde. Er erstarrte, wurde kalkweiß und ging steifbeinig auf Mattern zu. Dicht vor ihm blieb er stehen und stieß eine Frage hervor, die ich nicht verstand. »Aus Gründen der Sicherheit, Doktor«, erwiderte Mattern. »Ozymandias ist von militärischem Wert. In Anbetracht dieser Tatsache haben wir ihn mit in das Schiff genommen und so untergebracht, daß ein Entweichen unmöglich ist. Auf Grund der Machtbefugnisse, die mir für derartige Notfälle eingeräumt sind, erkläre ich die Expedition für beendet. Wir kehren sofort mit Ozymandias zur Erde zurück.« Leopolds Augen schienen aus den Höhlen treten zu wollen. Er blickte sich hilfesuchend nach uns um, aber wir blieben stumm. Schließlich fragte er ungläubig: »Er ist von militärischem Wert?« »Natürlich. Er kennt alle technischen Einzelheiten über die Waffen der alten Thaiquen. Aus seinem Mund haben wir bereits Dinge erfahren, die einfach unglaublich erscheinen. Was glauben Sie, Doktor Leopold, warum es auf diesem Planeten kein Leben gibt? Nicht einmal einen Grashalm? Selbst eine Million Jahre bringt das nicht zustande. Wohl aber eine Superwaffe. Die Thaiquen haben sie entwickelt. Und andere Waffen, die Ihnen die Haare zu Berge stehen lassen würden. Glauben Sie im Ernst, wir vergeuden unsere Zeit und sehen zu, wie Sie sich mit Ozymandias über archäologische Fragen unterhalten, wenn er voller militärischer Informationen ist, die Amerika unangreifbar machen? Tut mir leid, Doktor. Ozymandias ist Ihr Fund, aber er gehört uns. Und wir nehmen ihn mit zur Erde.« Wieder trat Stille ein. Leopold sah mich an, dann wanderte sein Blick zu Marshall und zu Gerhardt. Wir hatten nichts zu sagen. Unsere Expedition war ursprünglich eine militärische Mission. Gewiß, eine Handvoll Archäologen war ihr beigegeben worden, aber im Grunde lag der Schwerpunkt bei Mattern und seinen Männern. Die Fahrt war nicht angetreten worden, um unser allgemeines Wissen zu erweitern, sondern um neue Waffen und neue Quellen strategischen Materials zu finden. Und neue Waffen waren gefunden worden. Neue, unvorstellbare Waffen, Produkte einer Wissenschaft, die 300 000 Jahre lang existiert hatte. Alles gespeichert im phänomenalen Gedächtnis von Ozymandias. Mit heiserer Stimme sagte Leopold: »Also gut, Colonel. Ich gebe mich geschlagen.« Er wandte sich um und ging hinaus, ohne sein Frühstück zu berühren, ein gebrochener, geschlagener Mann. Ich ballte die Fäuste. Mattern hatte behauptet, der Planet sei nutzlos und der Aufenthalt bedeute nur Zeitvergeudung. Leopold hatte ihm widersprochen, und er hatte recht behalten. Wir hatten etwas von ungeheurem Wert gefunden. Wir hatten eine Maschine gefunden, die immer neue und immer entsetzlichere Todesrezepte ausspeien konnte. In unseren Händen befand sich die Quintessenz der Thaiquen-Wissenschaft — jener Wissenschaft, die ihren Höhepunkt in der Erschaffung großartiger Waffen gefunden hatte, Waffen, die so überlegen waren, daß sie alles Leben auf dieser Welt zerstören konnten. Nun hatten wir Zugang zu diesen Waffen. Von ihrer eigenen Hand gestorben, hatten die Thaiquen uns eine Erbschaft des Todes hinterlassen. Mit grauem Gesicht erhob ich mich vom Tisch und ging in meine Kabine. Der Hunger war mir vergangen. »Wir starten in einer Stunde«, sagte Mattern. »Bereiten Sie sich auf den Abflug vor.« Ich hörte kaum, was er sagte. Ich dachte an die tödliche Fracht, die wir trugen; an den Roboter, der so begierig war, sein Wissen weiterzugeben. Ich dachte an das, was geschehen würde, wenn unsere Wissenschaftler auf der Erde von Ozymandias zu lernen begannen. Es waren düstere Gedanken, mit denen ich mich beschäftigte. Die Werke der Thaiquen gehörten nun uns. Welchen Gebrauch würden wir von ihnen machen? Würden wir auch unsere Welt zerstören, wie sie es getan hatten? Ein Dichterwort kam mir in den Sinn: ›Seht auf mein Werk, Ihr Mächtigen — und verzweifelt.‹